Karte des Hirnverschleißes: Bestimmte Zelltypen im Gehirn verändern sich stärker und altern schneller als andere Hirnzellen, wie Neurowissenschaftler an Mäusen herausgefunden haben. Viele dieser Alterungsprozesse treten zudem an einem bestimmten „Hotspot“ im Gehirn auf, der mit Entzündungen und der Ernährung in Zusammenhang steht. Mit dem Wissen könnten nun neue Strategien entwickelt werden, um den Alterungsprozess zu verlangsamen, wie die Forschenden in „Nature“ berichten.
Wenn unser Körper altert, verschleißen nicht nur Gelenke, Knochen und Muskeln, sondern auch unser Nervensystem. Nervenzellen sterben ab, werden nicht mehr in vollem Maße ersetzt und das Gehirn schrumpft. „Das Altern ist der wichtigste Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit und viele andere verheerende Erkrankungen des Gehirns“, sagt Richard Hodes von den National Institutes of Health (NIH). Aber was genau passiert in unserem Kopf, wenn wir altern, und welche Teile des Gehirns altern am schnellsten?
Blick ins Gehirn von jungen und alten Mäusen
Das hat ein Team um Kelly Jin vom Allen Institute for Brain Science in Seattle nun genauer untersucht. Dafür verglichen die Neurowissenschaftler, was im Gehirn von zwei Monate „jungen“ und 18 Monate „alten“ Mäusen vor sich geht. Die „alten“ Mäuse entsprechen etwa dem Hirnalter von Menschen in gehobenerem mittleren Alter.
Die Forschenden sequenzierten die RNA von insgesamt 1,2 Millionen Gehirnzellen aus 16 Hirnregionen und kartierten so, welche Gene in welcher Hirnregion und welchen Zelltypen aktiv sind. Die Tests deckten etwa 35 Prozent des gesamten Mausgehirns ab.
Manche Zellen altern schneller
Dabei zeigte sich, dass manche Hirnzellen empfindlicher sind und schneller altern als andere. Bei den älteren Mäusen wiesen diese Zellen ein deutlich anderes Muster der Genaktivität auf als bei den jungen Tieren und der Kontrast war stärker als bei anderen Hirnzellen. Insgesamt waren rund 2.500 Gene stärker oder weniger aktiv als in jungem Alter, allerdings nicht in allen Zellen gleichermaßen.
Die meisten dieser empfindlichen Zelltypen waren Gliazellen, die als Stützzellen des Gehirns bekannt sind. Sie leiten selbst keine Signale weiter, unterstützen durch Neurotransmitter und Stützstrukturen aber die Neuronen bei der Signalweitergabe. Zu den mit dem Alter besonders stark veränderten Zellen gehörten Mikroglia und Border-assoziierte Makrophagen, Oligodendrozyten, Tanyzyten und Ependymzellen, wie Jin und ihre Kollegen feststellten.
Begünstigt veränderte Genaktivität Entzündungen und Demenz?
Auffällig war dabei, dass in diesen Zellen im alternden Gehirn vor allem jene Gene aktiver waren, die mit Entzündungen und dem Immunsystem sowie den Blutgefäßzellen des Gehirns in Verbindung stehen. Die altersbedingten Veränderungen könnten demnach Entzündungen begünstigen.
Weniger aktiv als bei jungen Hirnzellen waren hingegen Gene, die mit der neuronalen Struktur und Funktion zusammenhängen. Das legt nahe, dass diese Zellen die Neuronen nicht mehr ausreichend schützen und unterstützen, so dass es leichter zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz kommen kann.
„Unsere Hypothese ist, dass diese Zelltypen weniger effizient darin werden, Signale zu integrieren“, sagt Jin. „Und dieser Effizienzverlust trägt irgendwie zu dem bei, was wir im Rest unseres Körpers als Altern kennen.“
Alterungs-Hotspot im Hypothalamus
An einer bestimmten Stelle des Gehirns, angrenzend an den dritten Ventrikel des Hypothalamus, traten diese beiden Effekte sogar zusammen auf. Der dritte Ventrikel ist eine wichtige Pipeline, durch die die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit fließt und dabei Hormone und Nährstoffe zwischen Hypothalamus und Körper austauscht. Demnach gibt es im alternden Gehirn dort einen Alterungs-Hotspot, an dem die Nervenzellen besonders schnell verschleißen.
An dieser Drehschreibe fanden die Forschenden auch Zelltypen mit stark veränderter Genaktivität – darunter Tanyzyten, Ependymzellen und Neuronen –, die für den Nährstoff- und Energiestoffwechsel wichtig sind. Jin und ihre Kollegen schließen daraus, dass die Alterung des Gehirns auch mit der Ernährung und anderen Lebensstilfaktoren wie Schlaf zusammenhängen könnte. Auch frühere Studien legen nahe, dass eine ausgewogene Ernährung, intermittierendes Fasten oder Kalorienrestriktion den Alterungsprozess des Gehirns bremsen können.
Hoffnung für neue Therapien gegen das Altern
„Diese Ergebnisse liefern eine sehr detaillierte Karte, welche Gehirnzellen am stärksten vom Altern betroffen sein könnten“, sagt Hodes. „Diese neue Karte könnte die Art und Weise, wie Wissenschaftler darüber denken, wie sich das Altern auf das Gehirn auswirkt, grundlegend verändern und bietet auch einen Leitfaden für die Entwicklung neuer Behandlungen für altersbedingte Hirnerkrankungen.“
Besonders der Alterungs-Hotspot im Hypothalamus soll in Folgestudien nun genauer erforscht werden. Zusammen mit dem Wissen, welche Zelltypen spezifisch behandelt werden müssen, könnte dies zur Entwicklung neuer Medikamente und Ernährungsstrategien führen, die den Alterungsprozess verzögern, die Funktion der Nervenzellen erhalten und Alzheimer und Co verhindern. Das Wissen könnte demnach helfen, die Gesundheit des Gehirns bis ins hohe Alter zu erhalten. (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-024-08350-8)
Quellen: Allen Institute, NIH